Bioterra, ein gemeinnütziger Verein, der sich für den biologischen und naturnahen Land- und Gartenbau sowie die Vermarktung biologisch produzierter Produkte in der Schweiz einsetzt, organisierte am 11. März 2011 an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil eine Tagung zum Thema Naturgarten. Als zentrale Fragen sollten dabei behandelt werden, wie die jeweiligen heutigen Akteure die Naturgartenbewegung in ihrem Umkreis wahrnehmen, aber auch wie aktuelle Strömungen den Gartenbegriff heute erweitern.
Die Geschichte der Naturgartenbewegung im internationalen Vergleich
Ganz nah am Motto ‘Über die Grenzen hinaus’ stiegen die Referenten des Vormittags deshalb zunächst aus einer historischen Perspektive in das Thema ein: Wie sind Naturgärten in den Niederlanden, in Deutschland und in Österreich entstanden? Wie unterscheiden sich die Gärten in den jeweiligen Ländern, wo sind ihre Gemeinsamkeiten?
In den Niederlanden wurden die ersten Naturgärten bereits 1925 angelegt, mittlerweile zählt das Land schon 165 Naturgärten. Sehr viel stärker als in anderen Ländern wird in diesen Gärten ein Gleichgewicht zwischen planerischer Gestaltung und naturnaher Bewirtschaftung gesucht. Diese Gärten bilden eher ausgedehnte Parks inmitten der Städte. Die Naturgärten Österreichs und Deutschlands hingegen befinden sich häufig auf Privatgrundstücken, rund um Unternehmen oder sind angegliedert an öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Kliniken. Die Bewegungen in diesen zwei Ländern entwickelten sich erst in den 80er Jahren und richteten sich zunächst gegen zunehmende Überbauungen oder Flächenversieglungen durch Großprojekte wie Kraftwerksneubauten. Dieser stärker als in den Niederlanden politisch orientierten Motivation folgend forderten die Akteure hier mehr Natur, mehr Leben und die Freiheit von Gestaltungszwängen. Die Naturgärten dieser Länder scheinen dennoch in ihrer gärtnerischen Gestaltung gebändigter, geordneter und strukturierter als in den Niederlanden. Sie entwickeln ihrem politischen Anspruch gemäß aber auch neue Strukturen wie Schwimmteiche oder integriert angelegte Spielplätze mit einem breiten Angebot von Spiel- und Lernelementen. Grundlegend gleichen sich jedoch die Gärten der drei Länder in ihrer Funktion als Erholungs-, Bewegungs- und Bildungsraum.
Urban Gardening – aktuelle Entwicklungen in der Naturgartenbewegung
In einem zweiten Themenblock wurde das Augenmerk auf die gegenwärtige Entwicklung der Naturgartenbewegung gerichtet. Ein niederländisch, österreichisch, deutsch und schweizerisch besetztes Podium hätte hierfür anhand zu diskutierender Zukunftsvisionen der Naturgartenbewegung vor dem Mittagsbuffet einen Vorabinput liefern können – leider wurden anstelle von Visionen jedoch eher praktische Seitenaspekte diskutiert. Aber auch ohne dass konkrete Visionen formuliert worden wären, wurde in den Referaten nach der Pause deutlich, dass die Naturgartenbewegung derzeit einen weiteren Entwicklungsschub erlebt. So setzten sich gleich zwei Vorträge in Folge mit den Möglichkeiten und Grenzen der Gartentherapie auseinander, beschäftigten sich also mit der Frage, inwiefern die Arbeit mit und in entsprechend angelegten Gärten die Erhaltung und Förderung der Gesundheit in der Geriatrie und in der Rehabilitation befördert werden kann. Eine positive Wirkung dieses Ansatzes sei kürzlich auch wissenschaftlich nachgewiesen worden.
Einen weiteren Bogen spannte schließlich Christa Müller als letzte Referentin, die einen regelrechten Boom des sogenannten ‘Urban Gardening’ als eine neue Form des Gartenbaus in der Stadt konstatiert. So hat sich etwa in Städten des Südens und in den Großstädten Nordamerikas ‘Urban Farming’ als Strategie gegen Armut und soziale Verwahrlosung etabliert. Im 21. Jahrhundert hält diese Entwicklung nun auch in die europäischen Städten Einzug, wie die Referentin am Beispiel der interkulturellen Gärten deutlich macht. So berichtete sie von einem der Initialprojekte aus Göttingen: Als Bosnische Flüchtlingsfrauen gefragt wurden, was sie denn in Deutschland am meisten vermissen würden, erzählten diese von den Gärten ihrer Heimat. Auf einer freistehenden Fläche der Stadt Göttingen entstand auf diesem Wege 1996 der erste sogenannte interkulturelle Stadtgarten in Deutschland. In diesen Gärten mitten in der Stadt geht es um mehr als den Anbau und die Ernte von Gemüse und Früchten; sie bieten Einwanderern, die sich oft an den sozialen Rand gedrängt fühlen, einen Gestaltungsraum, in dem sie ein soziales Netzwerk aufbauen und sich austauschen können. Diese Räume bieten zudem die Möglichkeit die eigene Nachbarschaft mitzugestalten und Nachbarn unabhängig von der Herkunft auf Augenhöhe zu begegnen. Auch weitere Aspekte finden in diesem Modell Beachtung, etwa Fragen zur der Nahrungsmittelherkunft angesichts globalisierter Produktionsprozesse oder nach dem Erholungswert grüner Oasen im Stadtraum.
Die Tagung war mit ca. 300 Teilnehmer gut besucht. Die Tagungsbesucher setzten sich mehrheitlich aus GärtnerInnen mit privaten Gärten, LandschaftsgärtnerInnen, GartenbäuerInnen, Studierenden der Fachhochschule Wädenswil, LehrerInnen und Fachpersonen aus dem medizinisch-therapeutischen Bereich zusammen. Diese Mischung bot über die Referate hinaus gute Voraussetzungen für weitere Gespräche und für die internationale Vernetzung. Insgesamt ist der Naturgartentag also als gelungene Veranstaltung weiterzuempfehlen.
Eine Unklarheit nahmen jedoch einige Besucher mit auf den Heimweg: Was genau ist eigentlich ein Naturgarten? Lediglich der österreichische Referent lieferte zumindest im Ansatz einige Kriterien zur Bestimmung des Begriffes, jedoch ohne jeden Anspruch auf eine allgemeingültige Definition. Die braucht es aber auch nicht – und auch das konnte man als Teilnehmer mit nach Hause nehmen: Gerade die Vielfalt der Gartenkonzepte zeichnet die Naturgartenbewegung als solche aus.
Tagungsbericht erstellt von Bea Vonlanthen, Postkult e.V.
Weiterführendes
Programmübersicht zur Naturgartentagung (PDF)
Überblick über die Geschichte der Naturgärten und entsprechende Literaturhinweise (Weblink)
Videos zu Beispielprojekten: YouTube-Channel ANSTIFTUNGundERTOMIS (Weblink)
Videos zu Gemeinschaftsgärten weltweit: Eine andere Welt ist pflanzbar (Weblink)
Stiftung Interkultur: Förderung interkultureller Gärten (Weblink)
“Urban Gardening” hrsg. von Christa Müller (Buchtipp)
Sehr interessanter Bericht. Danke.